Sorgerecht bei Pflegeeltern und Kindern in Einrichtungen #
Leben Kinder bei Pflegeeltern oder in Jugendhilfeeinrichtungen, stellt sich die Frage, wer in welchen Angelegenheiten Entscheidungen für das Kind treffen kann und muss. Auch ist klärungsbedürftig, wer welche Erklärungen für das Kind abgeben darf. Darf die Pflegeperson z.B. ohne Wissen der sorgeberechtigten Eltern in der Schule ein Lehrergespräch führen? Darf die Pflegeperson in eine Operation einwilligen? Dürfen die Betreuungskräfte in der Einrichtung das Kind ohne Einwilligung der Eltern auf eine Freizeit fahren lassen.
Das Gesetz löst diese Frage so, dass es danach unterscheidet, wie bedeutsam die Angelegenheit im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Kindes ist. Bei bedeutsamen Angelegenheiten, die schwer abänderbar sind und die Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Kindes haben, brauchen die Pflegeeltern stets eine Entscheidung der sorgeberechtigten Person. Solche Angelegenheite heißen „Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung“.
Handelt es sich dagegen um Angelegenheiten, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Kindes haben, spricht man von Angelegenheiten des täglichen Lebens.
Lies: § 1688 Abs. 1 BGB
Beispiel: Bewerten wir die oben genannten Beispiele im Hinblick auf diese Kriterien, so ergibt sich, dass das Führen von Lehrergesprächen und wohl auch die Einwilligung in eine Freizeit zu den Angelegenheiten des täglichen Lebens gehört. Die Einwilligung in eine Operation ist dagegen einen Entscheidung von erheblicher Bedeutung.
Wer einwilligen muss, hängt von der sorgerechtlichen Grundkonstellation ab. Sind die Eltern oder ist ein Elternteil alleinsorgeberechtigt, müssen diese bzw. dieser zustimmen. Ist ein Vormund besellt, muss dieser zustimmen. Ist ein Ergänzungspfleger bestellt und ist der diesem übertragene Teilbereich betroffen, so muss dieser entscheiden; das könnten zum Beispiel der Fall sein, wenn einem Pfleger das Recht zur Entscheidung in Gesundheitsfragen übertragen ist.
Sorgerecht bei Trennung und Scheidung #
Wenn Eltern sich trennen, stellt sich die Frage, welche Auswirkung dies auf das Sorgerecht hat.
Das Gesetz unterscheidet zwei Fallgruppen:
- Die Eltern hatten vor der Trennung gemeinsames Sorgerecht.
- Die Eltern hatten vor der Trennung kein gemeinsames Sorgerecht.
Variante 1: Eltern hatten gemeinsames Sorgerecht
Wenn Eltern, die vor Trennung gemeinsames Sorgerecht hatten, sich trennen, ändert sich in der Regel auch nach der Trennung nichts. Denn der Gesetzgeber sieht vor, dass dass das Sorgerecht im Trennungsfall nur ausnahmsweise auf einen Elternteil allein übertragen wird.
Lies: § 1671 Abs. 1 BGB
Die erste Voraussetzung für ein solches alleiniges Sorgerecht ist, dass ein Elternteil die Alleinsorge oder die Übertragung eines Teils der Sorge beantragt. Stellt kein Elternteil einen solchen Antrag, bleiben beide Eltern sorgeberechtigt.
Stellt ein Elternteil dagegen einen Antrag auf Übertragung der Alleinsorge oder stellen beide Eltern jeweils den Antrag, man möge ihnen das Sorgerecht übertragen, entscheidet das Familiengericht.
Das Familiengericht hat dann drei Möglichkeiten zu entscheiden:
- Es belässt alles wie es ist – es bleibt in diesem Fall bei der gemeinsamen Sorge.
- Es überträgt das Sorgerecht komplett einem Elternteil.
- Es überträgt einen Teil des Sorgerechts einem Elternteil. Der Rest des Sorgerechts verbleibt dann bei beiden Eltern.
Das Familiengericht überträgt das Sorgerecht oder einen Teil davon nur in den folgenden Fällen an einen Elternteil:
- Variante 1: Die Eltern sind sich in dieser Frage einig. Das Kind ist unter 14 Jahren oder zwar mindestens 14 Jahre, macht aber von seinem ab diesem Alter bestehenden Widerspruchsrecht keinen Gebrauch.
- Variante 2: Die Eltern sind sich nicht einig oder das mindestens 14 Jahre alte Kind widerspricht: in diesen Fällen prüft das Familiengericht, ob erstens die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und zweitens die Übertragung des Sorgerechts oder eines Teils davon gerade auf den Antragsteller dem Kindswohl am besten entspricht. Das Gericht prüft also doppelt: erst stellt es gegenüber, ob die Alleinsorge besser für das Kind ist, als die gemeinsame Sorge. Dann wird geprüft, ob es dem Kindswohl am besten entspricht, gerade dem Antragsteller das Sorgerecht zu übertragen.
Hinweis: Die Hürden für ein Alleinsorgerecht nach Trennung oder Scheidung sind hoch. In den allermeisten Fällen bleibt es beim gemeinsamen Sorgerecht nach Trennung und Scheidung (ca. 97 % der Fälle). Entscheiden die Familiengerichte zugunsten der Übertragung auf einen Elternteil, erhalten in den meisten Fällen die Mütter das Sorgerecht (Verhältnis 1 : 9).
Variante 2: Eltern hatten kein gemeinsames Sorgerecht
Wenn das Sorgerecht vor der Trennung der Mutter zustand, kann der Vater die Alleinsorge oder die Übertragung eines Teils der Sorge beantragen.
Lies: § 1671 Abs. 2 BGB
Auch in diesem Fall entscheidet das Familiengericht. Die Kriterien für die Entscheidung entsprechen den Kriterien bei vorheriger gemeinsamer Sorge.
Ausübung der gemeinsamen Sorge bei getrennt lebenden Eltern #
Wenn Eltern getrennt leben, können sie nicht in gleicher Weise gemeinsam für das Kind entscheiden, wie zusammen lebende Eltern. Das Gesetz verlangt deshalb gemeinsame Entscheidungen beider Eltern nur in den wirklich wichtigen Fragen.
Lies: § 1687 Abs.1 BGB
In Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, ist das gegenseitige Einvernehmen der Eltern erforderlich.
In Angelegenheiten des täglichen Lebens kann der Elterneil entscheiden, bei dem das Kind sich gewöhnlich aufhält, also seinen überwiegenden Aufenthalt und Lebensmittelpunkt hat. Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben.
Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung kann derjenige Elternteil entscheiden, bei dem sich das Kind gerade aufhält.
Beispiel:
Erhebliche Bedeutung hat zum Beispiel die Wahl der Schule oder der Schulart – beide Eltern müssen gemeinsam entscheiden. Nicht von erheblicher Bedeutung ist dagegen die Auswahl der konkreten Schulfächer (z.B. Französisch oder Latein) – der Elternteil, bei dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, entscheidet.
Sorgerecht bei minderjährigen Eltern #
Minderjährige Eltern haben nur einen Teil des Sorgerechts. Sie haben das Recht, die Personensorge auszuüben. Die Vermögenssorge haben sie aber nicht. Auch zur Vertretung des Kindes sind minderjährige Eltern nicht berechtigt.
Lies: § 1673 Abs. 2 BGB
Der fehlende Teil des Sorgerechts muss daher durch eine andere Person als den minderjährigen Elternteil wahrgenommen werden. Es gibt zwei Möglichkeiten:
Entweder füllt der volljährige und sorgeberechtigte Elternteil diese Lücke oder das Kind erhält neben dem minderjährigen Elternteil einen Vormund. Denn einen Vormund erhält ein Kind, wenn die Eltern nicht berechtigt sind, das Kind zu vertreten. Dies ergibt sich aus § 1673 Abs. 2 BGB („… zur Vertretung des Kindes ist er nicht berechtigt.“).
Lies: § 1773 Abs. 1 BGB
Die Personensorge steht dem minderjährigen Elternteil neben dem Vormund zu. Wenn der minderjähirge Elternteil sich mit dem Vormund in einer bestimmten Angelegenheit nicht einigen kann, geht die Meinung des minderjährigen Elternteils vor und er kann bestimmen.
Beispiel:
Will der minderjährige Elternteil eine bestimmte Impfung nicht durchführen, weil aus seiner Sicht der Nutzen der Impfung nicht ausreichend belegt ist, setzt er sich mit seinem Willen gegenüber dem Vormund durch.
Wenn es statt des Vormundes einen erwachsenen sorgeberechtigten Elternteil gibt, gelten die Regeln, die für alle Eltern gelten: Sie müssen sich einigen. Können sie sich nicht einigen, gilt § 1628 BGB, wonach das Gericht einem Elternteil die Entscheidung übertragen kann (siehe oben).
Sorgerecht bei geschäftsunfähigen Eltern #
Wenn Eltern geschäftsunfähig sind, ruht ihre elterliche Sorge.
Lies: § 1673 Abs. 1 BGB
Wer geschäftsunfähig ist, steht im allgemeinen Teil des BGB.
Lies: § 104 BGB
Dort werden Kinder unter 7 Jahren und Personen, die psychisch erkrankt sind, genannt. Wenn es um das Sorgerecht minderjähriger Eltern geht, kann natürlich nur die Gruppe der Personen gemeint sein, deren freie Willensbestimmung ausgeschlossen ist. Denn Eltern unter 7 gibt es nicht. § 1673 Abs. 1 BGB bezieht sich vor allem auf geschäftsunfähige Menschen mit psychischen Erkrankungen oder auch um Menschen mit Behinderungen. Deren elterliche Sorge ruht. Werden sie wieder geschäftsfähig, zum Beispiel weil die psychische Erkrankung geheilt ist, endet das Ruhen der elterlichen Sorge. Der Elternteil bekommt sein Sorgerecht automatisch zurück und zwar ohne, dass ein Gericht darüber eintscheiden muss.
Während der Zeit des Ruhens bekommt das Kind einen Vormund.
Lies: § 1773 Abs. 1 BGB
Dieser nimmt das Sorgerecht während der Zeit des Ruhens anstelle des geschäftsunfähigen Elternteils wahr.
Lies: § 1789 Abs. 1 BGB
Sorgerecht bei vertraulicher Geburt #
Frauen haben die Möglichkeit, ihr Kind vertraulich, das heißt ohne Preisgabe ihrer Identität zu gebären.
Wird ein Kind vertraulich geboren, ruht die elterliche Sorge der Mutter. Die Mutter kann das Sorgerecht erhalten, wenn sie ihre Anonymität aufgibt und gegenüber dem Familiengericht die erforderlichen Angaben zum Vornamen und Namen des Kindes, zum Geburtsort, zum Geburtstag, zur Geburtszeit sowie zum Geschlecht des Kindes macht.
Lies: § 1674a Abs. 1 BGB
Solange die Mutter unbekannt ist, wird das Sorgerecht einem Vormund übertragen.
Ein vertraulich geborenes Kind kann auch von anderen adoptiert werden. Grundsätzlich kann ein Kind nur mit der Einwilligung der Eltern adoptiert werden. Nach erfolgter Adoption haben die Adoptiveltern das Sorgerecht.
Lies: § 1747 Abs. 1 S. 1 BGB
Bei Kindern, die vertraulich geboren wurden, gilt eine Sonderregelung: Die Einwilligung ist nicht erforderlich, der Aufenthalt der Mutter dauernd unbekannt ist. Der Aufenthalt der Mutter gilt solange als dauernd unbekannt, wie sie gegenüber dem Familiengericht die für den Geburtseintrag ihres Kindes erforderlichen Angaben macht.
Lies: § 1747 Abs. 4 BGB