Die Leistungen der Jugendhilfe sind abschließend in § 2 Absatz 2 SGB VIII aufgezählt.
Lies: § 2 Abs.2 SGB VIII
Sie umfassen:
- Angebote der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit, der Schulsozialarbeit und des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes (§§ 11 bis 14 SGB VIII),
- Angebote zur Förderung der Erziehung in der Familie (§§ 16 bis 21 SGB VIII),
- Angebote zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (§§ 22 bis 25 SGB VIII),
- Hilfe zur Erziehung und ergänzende Leistungen (§§ 27 bis 35, 36, 37, 39, 40 SGB VIII),
- Hilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche und ergänzende Leistungen (§§ 35a bis 37, 39, 40 SGB VIII),
- Hilfe für junge Volljährige und Nachbetreuung (§§ 41 und 41a SGB VIII).
Abgesehen von den Leistungen nach
besteht auf die übrigen Leistungen des SGB VIII kein (einklagbarer) Rechtsanspruch. Es handelt sich um sog. objektivrechtliche Verpflichtungen, die weiteren genannten Leistungen vorzuhalten. Eine Ausnahme bildet § 20 SGB VIII als sogenannten „Soll-Leistung“.
Hervorzuheben sind wegen ihrer praktischen Bedeutung insbesondere die
- Angebote
- der Jugendarbeit und
- der Jugendsozialarbeit sowie
- die Förderung der Erziehung in der Familie nach § 16 SGB VIII, § 17 SGB VIII und § 18 SGB VIII.
Hinzuweisen ist auch auf
- § 20 SGB VIII (Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen).
Ambulante und stationäre Jugendhilfe #
Jugendhilfeleistungen werden ambulant (familienunterstützend), teilstationär (familienergänzend) oder stationäre (familienersetzend) erbracht. Ambulante Maßnahmen greifen dabei weniger in das elterliche Erziehungsrecht ein, während stationäre Hilfen den intensivsten Eingriff in den Erziehungsprozess darstellen. Welche Hilfe im konkreten Fall herangezogen wird, ist indes allein davon abhängig, welcher Hilfebedarf im Einzelfall besteht. Ein Vorrang ambulanter vor stationären Hilfen besteht daher nicht.
Unterstützungsansprüche #
Ombudsstellen
Nach § 9a SGB VIII sind die Länder verpflichtet, sogenannte Ombudsstellen zu schaffen. Nach der Neuregelung wird in den Ländern sichergestellt, dass sich junge Menschen und ihre Familien zur Beratung, sowie Vermittlung und Klärung von Konflikten im Zusammenhang mit Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nach § 2 SGB VIII und deren Wahrnehmung durch die öffentliche und freie Jugendhilfe an eine Ombudsstelle wenden können. Die Ombudsstellen sind fachlich nicht weisungsgebunden.
Die Regelung zu den Ombudsstellen wurde durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) 2021 geschaffen. In der Begründung zum Gesetzentwurf (Bundestagsdrucksache 19/26107, S. 75 f.) wird u.a. die Funktion und Rolle der Ombudsstellen für die eigenverantwortliche Wahrnehmung von Rechten durch junge Menschen und ihre Familien hervorgehoben. “Strukturelle Machtasymetrien” verhinderten zum Teil die Rechtswahrnehmung, weshalb junge Menschen darin bestärkt werden sollen, ihre Rechte auch mit den vorhandenen Strukturen des Rechtsstaats einzufordern.
Verfahrenslotse
Neben einer Reihe von Klarstellungen vor allem im allgemeinen Teil des Gesetzes, welche die Rechte von Menschen mit Behinderungen stärken sollen, ist vor allem die zum 01.01.2024 in Kraft tretende Neuregelung in § 10b SGB VIII hervorzuheben.
Danach haben junge Menschen, die Leistungen der Eingliederungshilfe wegen einer Behinderung oder wegen einer drohenden Behinderung geltend machen oder bei denen solche Leistungsansprüche in Betracht kommen, bei der Antragstellung, Verfolgung und Wahrnehmung dieser Leistungen Anspruch auf Unterstützung und Begleitung durch einen Verfahrenslotsen. Gleiches gilt für deren Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigte. Der Verfahrenslotse soll die Leistungsberechtigten bei der Verwirklichung von Ansprüchen auf Leistungen der Eingliederungshilfe unabhängig unterstützen sowie auf die Inanspruchnahme von Rechten hinwirken. Zuständig für die Leistung ist der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe.
Daneben soll der Verfahrenslotse die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der Implementierung der sog. “Inklusiven Jugendhilfe” unterstützen.
Der Unterstützungsauftrag des Verfahrenslotsen ist umfassend: Von der Zielgruppe ausgehend ersteckt er sich auf “junge Menschen” sowie deren Eltern, Elternteile sowie auf andere Personensorge- und Erziehungsberechtigte. Junger Mensch ist nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII, wer noch nicht 27 Jahre alt ist. Der Unterstützungsanspruch zielt daher neben Minderjährigen der betroffenen Zielgruppe auch auf junge Volljährige. Eltern von behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindern, dürften ebenfalls auch nach Volljährigkeit ihres Kindes einen Unterstützungsanspruch haben, denn der Wortlaut erwähnt die Eltern ausdrücklich neben den Sorgeberechtigten und Erziehungsberechtigten. Außerdem endet Elternschaft nicht mit der Volljährigkeit.
Der Unterstützungsauftrag geht deutlich weiter, als die an anderer Stelle im SGB VIII oder auch im allgemeinen Teil des SGB geregelten Beratungsansprüche. Bereits die Überschrift der Norm macht deutlich, dass es um die Wahrnehmung einer “Lotsenfunktion” zugunsten junger Menschen mit (drohenden) Behinderungen und ihrer Familien geht. Die “Verfahrenslotsen” sollen die Betroffenen durch die komplexe materielle Rechtslage, vor allem aber auch durch das komplexe Verfahrensrecht begleiten. Die Verfahrenslotsen sollen bei der Verwirklichung von Ansprüchen auf Leistungen unterstützen. Die Verwirklichung von Ansprüchen setzt zunächst ihre Geltendmachung, sodann aber auch ihre effektive verfahrensrechtliche Verfolgung voraus. Dieser Auftrag umfasst – soweit geboten – auch die Unterstützung bei der Inanspruchnahme effektiven Rechtsschutzes – die Rede ist also auch von einer Unterstützung bei Widerspruch, Klage- und Eilverfahren gegen Träger von Leistungen der Eingliederungshilfe.
Der an die Jugendämter gerichtete Auftrag zur Implementierung von Verfahrenslotsen dürfte diese vor erhebliche Herausforderungen im Hinblick auf die Qualifizierung geeigneten Personals stellen. Gefordert sind neben entsprechenden Fachkenntnissen im Bereich der inklusiven Pädagogik vor allem Kenntnisse im materiellen Recht der EIngliederungshilfe sowie im Verfahrensrecht.
Beratungsansprüche #
Durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz wurden die Beratungsansprüche zugunsten von jungen Menschen, Eltern sowie anderen Personensorge- und Erziehungsberechtigten erheblich erweitert. Darüber hinaus wurden insbesondere im Kontext der Unterbringung von Kindern in Pflegefamilien neue Beratungstatbestände geschaffen.
Hervorzuheben sind:
- § 8 Abs.3 SGB VIII, der nunmehr einen Anspruch auf elternunabhängige Beratung auch ohne das Erfordernis einer Not- und Konfliktlage vorsieht.
- § 8 Abs.3 SGB VIII, wonach die Beratung von Kindern und Jugendlichen in einer adressatengerechten Form zu erfolgen hat.
- § 9a SGB VIII, Ombudsstellen, dazu s.o.
- § 10a SGB VIII, der einen umfassenden und über den allgemeinen Beratungs- und Aufklärungsanspruch nach § 14 SGB I hinausgehenden Beratungsanspruch regelt. Der Beratungsanspruch bezieht sich sowohl auf Fragen des materiellen, als auch auf Fragen des Verfahrensrechtes. Er umfasst daher auch Aufklärung über die Möglichkeiten der Anspruchsdurchsetzung und Rechtsbehelfe. Beratungsansprüche nach anderen Vorschriften bleiben neben dem neuen Beratungsanspruch nach § 10a SGB VIII bestehen. Das gilt insbesondere für den umfassenden Beratungsanspruch bei Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 106 SGB IX.
- § 36 Abs.1 S.2 SGB VIII enthält die Klarstellung, dass die Beratung und Aufklärung nach Abs. 1 in einer für den Personensorgeberechtigten und das Kind oder den Jugendlichen verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form zu erfolgen hat.
- § 37 SGB VIII strukturiert die Regelung über die Zusammenarbeit bei Hilfen außerhalb der eigenen Familien neu. Die Überschrift wurde neu gefasst. Sie lautet nun: Beratung und Unterstützung der Eltern und Zusammenarbeit bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie. Im Kern geht es bei der Neuregelung um eine Neukonturierung des Beratungsanspruchs im Hinblick auf die Lebensperspektive des Kindes. Abhängig von der Perspektive (Rückkehr in die Herkunftsfamilien oder dauerhafter Verbleib in der Pflegefamilie) soll die Beratung entweder auf eine schnelle Rückkehr in die Herkunftsfamilie oder aber auf die dauerhafte Unterbringung in einer Pflegefamilie ausgerichtet sein. Im letztgenannten Fall sollen die Beziehungen zur Herkunftsfamilie gefördert und Perspektiven für einen kindeswohlgerechten Umgang mit der Herkunftsfamilie entwickelt werden.
- § 37a SGB VIII regelt den vormals in § 37 Abs.2 SGB VIII geregelten Beratungs- und Unterstützungsanspruch der Pflegepersonen nun in einer eigenen Vorschrift.
- § 41a SGB VIII weitet den vormals in § 41 Abs.3 SGB VIII geregelten Anspruch junger volljähriger Hilfebedürftiger auf nachgehende Betreuung aus. Er ist nunmehr ausdrücklich als Anspruch auf “Nachbetreuung” in Form eines Rechtsanspruchs (zuvor: “Soll-Regelung”) ausgestaltet. Die Beratung und Unterstützung hat in einer für die Zielgruppe verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form zu erfolgen. Hervorzuheben ist auch, dass die “Nachbetreuung” auch nach Abschluss der vorgehenden Hilfe für junge Volljährige im Hilfeplan dokumentiert werden muss. Außerdem besteht ein Gebot zur regelmäßigen Kontakaufnahme mit dem jungen volljährigen Menschen. Insgesamt wurde der Anspruch auf Nachbetreuung durch die Aufwertung des materiellen Anspruchs sowie durch die Vorgaben zur Hilfeplanung und Kontaktaufnahme deutlich gestärkt.