Gewaltschutzkonzepte haben sich als ein zentrales Element der Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe etabliert. Sie dienen dem umfassenden Schutz von Kindern und Jugendlichen vor physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt sowie vor Vernachlässigung. Die Entwicklung und Implementierung solcher Konzepte stellt dabei nicht nur eine rechtliche Verpflichtung dar, sondern ist auch eine fachliche Notwendigkeit zur nachhaltigen Sicherstellung des Kindeswohls. Der vorliegende Artikel vermittelt grundlegendes und vertiefendes Wissen über die theoretischen Grundlagen, rechtlichen Rahmenbedingungen und praktische Umsetzung von Gewaltschutzkonzepten.
Zentrale Begriffe und Definitionen #
Definition von Gewalt
Nach Wolff et al. (2017) ist der Gewaltbegriff in der Kinder- und Jugendhilfe vielschichtig und umfasst verschiedene Dimensionen. Physische Gewalt manifestiert sich in Form von körperlichen Übergriffen, Freiheitsentzug oder -einschränkung sowie in der Zwangsmedikation und Vernachlässigung körperlicher Bedürfnisse. Die psychische Gewalt umfasst verbale Attacken und Erniedrigungen, aber auch subtilere Formen wie Bedrohungen, emotionale Erpressung und soziale Ausgrenzung. Besonders schwerwiegend ist die Verweigerung emotionaler Zuwendung, die tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung junger Menschen haben kann.
Sexualisierte Gewalt reicht von direkten körperlichen Übergriffen (Hands-on Delikte) bis hin zu verbalen Übergriffen und Exhibitionismus (Hands-off Delikte). Auch Grenzverletzungen im Alltag, sexuelle Belästigung und die ungewollte Konfrontation mit pornografischem Material fallen in diese Kategorie. Strukturelle Gewalt zeigt sich in diskriminierenden Regeln und Strukturen, ungleichen Machtverhältnissen sowie mangelnden Partizipationsmöglichkeiten. Fehlende Beschwerdemöglichkeiten und rigide Hierarchien können dabei institutionell verankerte Gewaltformen darstellen.
Die Vernachlässigung als weitere Form der Gewalt äußert sich in mangelnder Grundversorgung, unterlassener Aufsicht und Fürsorge sowie in der Vernachlässigung medizinischer Versorgung. Auch Bildungsvernachlässigung und ein Mangel an emotionaler Zuwendung fallen in diesen Bereich und können langfristige Entwicklungsbeeinträchtigungen zur Folge haben.
Gewaltschutzkonzept
Ein Gewaltschutzkonzept stellt nach Fegert und Wolff (2015) einen systematischen, institutionellen Ansatz dar. Die präventiven Maßnahmen gliedern sich in drei Ebenen: Die Primärprävention umfasst vorbeugende Maßnahmen, die das Auftreten von Gewalt von vornherein verhindern sollen. Die Sekundärprävention zielt auf die Früherkennung von Gewaltdynamiken ab, während die Tertiärprävention der Verhinderung von Wiederholungen dient und bereits eingetretene Schäden begrenzen soll.
Die Interventionsstrategien eines Gewaltschutzkonzepts basieren auf klar definierten Handlungsabläufen. Diese legen fest, wer in welchen Situationen welche Verantwortung trägt und welche Schritte eingeleitet werden müssen. Umfassende Dokumentationspflichten und festgelegte Meldeketten stellen dabei sicher, dass Vorfälle nicht übersehen werden und eine angemessene Reaktion erfolgt.
Theoretische Grundlagen #
Traumapädagogischer Ansatz
Die Traumapädagogik nach Weiß (2023) bildet eine zentrale theoretische Grundlage für Gewaltschutzkonzepte. Das Grundverständnis der Traumapädagogik betrachtet dabei Traumata nicht als isolierte Ereignisse, sondern als biografisch bedingte Überlebensstrategien. Auffälliges Verhalten wird in diesem Kontext als Bewältigungsversuch verstanden, der im Moment des Traumas möglicherweise überlebenswichtig war. Dieser ressourcenorientierte Ansatz steht im Gegensatz zu einer defizitorientierten Sichtweise und betont die Bedeutung von Beziehungskontinuität als wesentlichen Heilungsfaktor.
Ein zentrales Konzept der Traumapädagogik ist die Schaffung eines „Sicheren Ortes“. Dieser umfasst sowohl die physische als auch die emotionale Sicherheit der Kinder und Jugendlichen. Transparenz und Berechenbarkeit im pädagogischen Alltag spielen dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die Möglichkeiten zur Partizipation und Mitbestimmung. Die Stabilisierung und Ressourcenaktivierung erfolgt durch die gezielte Förderung der Selbstwahrnehmung und die Entwicklung konstruktiver Bewältigungsstrategien. Der Aufbau von Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit wird dabei als kontinuierlicher Prozess verstanden.
Systemischer Ansatz
Der systemische Ansatz betrachtet Gewaltschutz als eine Aufgabe, die alle Ebenen einer Institution durchdringen muss. Auf der Organisationsebene beginnt dies mit der Verankerung des Gewaltschutzes im Leitbild und in der Konzeption der Einrichtung. Die Strukturen und Abläufe müssen dabei so gestaltet sein, dass sie Gewalt aktiv vorbeugen und nicht unbeabsichtigt begünstigen. Ein systematisches Qualitätsmanagement und eine gewaltfreie Organisationskultur bilden dafür den notwendigen Rahmen.
Die Personalebene spielt eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung von Gewaltschutzkonzepten. Dies beginnt bei der sorgfältigen Personalauswahl und setzt sich in der kontinuierlichen Personalentwicklung fort. Regelmäßige Fort- und Weiterbildungen sowie Supervision und Beratung sind dabei unverzichtbare Elemente. Die Teamentwicklung muss gezielt die Zusammenarbeit und den fachlichen Austausch im Kontext des Gewaltschutzes fördern.
Methoden der Umsetzung
Risikoanalyse
Die Risikoanalyse bildet nach Enders (2012) einen grundlegenden ersten Schritt bei der Entwicklung eines Gewaltschutzkonzepts.
Die räumliche Analyse untersucht dabei systematisch die baulichen Gegebenheiten der Einrichtung. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Gebäudestruktur und Raumnutzung, wobei sowohl die Zugänglichkeit als auch die Einsehbarkeit verschiedener Bereiche kritisch geprüft werden. Rückzugsmöglichkeiten müssen dabei in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen notwendiger Privatheit und potentiellen Gefährdungen stehen. Besonders sensibel sind Sanitärbereiche, die spezifische Schutzmaßnahmen erfordern.
Die Strukturanalyse richtet den Blick auf die organisatorischen Aspekte der Einrichtung. Hierzu gehört eine kritische Betrachtung der vorhandenen Hierarchien und Machtverhältnisse, die Überprüfung etablierter Kommunikationswege sowie die Analyse von Entscheidungsprozessen. Der Personalschlüssel wird dabei nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ im Hinblick auf potentielle Risikosituationen bewertet.
Eine besondere Bedeutung kommt der Prozessanalyse zu, die sich mit den alltäglichen Abläufen in der Einrichtung befasst. Hier werden kritische Situationen identifiziert, die Regulation von Nähe und Distanz untersucht und Privatheitsgrenzen definiert.
Verhaltenskodex
Die Entwicklung eines Verhaltenskodex erfolgt in einem partizipativen Prozess unter Einbeziehung aller Beteiligten. Grundlegende Haltungen wie Respekt und Wertschätzung, die konsequente Achtung von Grenzen, Transparenz im Handeln sowie eine konstruktive Fehlerkultur bilden dabei das Fundament. Der Kodex konkretisiert diese Grundhaltungen in verbindlichen Regelungen für den Umgang mit Körperkontakt und Intimsphäre. Klare Vorgaben für Sprache und Kommunikation sowie die Nutzung von Medien sind ebenso enthalten wie Richtlinien zum Umgang mit Geschenken und Privilegien.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf den Interventionsrichtlinien. Diese regeln den professionellen Umgang mit Grenzverletzungen und definieren klare Handlungsschritte bei Fehlverhalten von Mitarbeitenden. Auch der Umgang mit Konflikten zwischen Kindern und Jugendlichen sowie notwendige Kriseninterventionen werden detailliert beschrieben. Dabei wird großer Wert auf die Balance zwischen klaren Handlungsvorgaben und der notwendigen Flexibilität im pädagogischen Alltag gelegt.
Beschwerdeverfahren
Ein wirksames Beschwerdeverfahren zeichnet sich durch verschiedene, niedrigschwellige Zugangswege aus. Neben anonymen Meldemöglichkeiten werden auch digitale Beschwerdewege und persönliche Ansprechpartner vorgehalten. Die Einbindung externer Anlaufstellen erhöht dabei die Glaubwürdigkeit des Systems und schafft zusätzliche Sicherheit für die Betroffenen. Der Bearbeitungsprozess folgt einem klar strukturierten Ablauf, der mit der sorgfältigen Dokumentation des Beschwerdeanliegens beginnt. Es folgen die systematische Prüfung und Bewertung sowie die Entwicklung geeigneter Maßnahmen. Ein zeitnahes Feedback an die Beschwerdeführenden ist dabei ebenso wichtig wie die transparente Kommunikation über die eingeleiteten Schritte.
Die Qualitätssicherung des Beschwerdeverfahrens erfolgt durch regelmäßige Auswertungen der eingegangenen Beschwerden und ihrer Bearbeitung. Die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen wird systematisch überprüft und das Verfahren bei Bedarf angepasst und weiterentwickelt. Eine regelmäßige Evaluation unter Einbeziehung aller Beteiligten stellt sicher, dass das Beschwerdeverfahren seinen Zweck erfüllt und von den Nutzerinnen und Nutzern akzeptiert wird.
Praktische Umsetzung und Rahmenbedingungen #
Rechtliche Grundlagen
Die rechtlichen Grundlagen für Gewaltschutzkonzepte sind in verschiedenen Gesetzestexten verankert und bilden einen verbindlichen Rahmen für die praktische Arbeit. Das SGB VIII definiert in § 45 die Mindestanforderungen für die Erteilung einer Betriebserlaubnis, wobei der Nachweis von Schutzkonzepten inzwischen zu den zentralen Voraussetzungen gehört. Die Einrichtungen müssen dabei konkret darlegen, wie sie durch geeignete Verfahren und Strukturen den Schutz von Kindern und Jugendlichen gewährleisten. Dies umfasst sowohl präventive Maßnahmen als auch konkrete Handlungsabläufe für den Fall von Gefährdungssituationen.
§ 79a SGB VIII verpflichtet die Träger zur kontinuierlichen Qualitätsentwicklung und -sicherung im Bereich des Gewaltschutzes. Dies bedeutet in der Praxis die regelmäßige Überprüfung und Anpassung bestehender Konzepte sowie die fortlaufende Qualifizierung der Mitarbeitenden. Der in § 8a verankerte Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung konkretisiert die Handlungspflichten der Fachkräfte und definiert verbindliche Verfahrensabläufe. Die in § 8b festgeschriebene fachliche Beratung und Begleitung durch insoweit erfahrene Fachkräfte stellt eine wichtige Unterstützung bei der Gefährdungseinschätzung und Maßnahmenplanung dar.
Das Bundeskinderschutzgesetz erweitert diese Vorgaben um konkrete Anforderungen an Prävention und Intervention. Besonders bedeutsam ist dabei die Verpflichtung zur Entwicklung einrichtungsspezifischer Schutzkonzepte, die sich an den jeweiligen Risiken und Bedingungen vor Ort orientieren. Die gesetzlich geforderte Kooperation in lokalen Netzwerken ermöglicht dabei den fachlichen Austausch und die gegenseitige Unterstützung bei der Konzeptentwicklung. Die aktive Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien wird als wesentliches Element des Kinderschutzes hervorgehoben und muss in der Praxis durch geeignete Partizipationsformate umgesetzt werden.
Implementation in verschiedenen Handlungsfeldern #
Die praktische Implementation von Gewaltschutzkonzepten gestaltet sich in den verschiedenen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe höchst unterschiedlich. In der stationären Jugendhilfe stehen dabei die besonderen Abhängigkeitsverhältnisse und die intensive Beziehungsarbeit im Fokus. Schutzkonzepte müssen hier die Balance zwischen professioneller Nähe und notwendiger Distanz definieren und klare Handlungsleitlinien für kritische Alltagssituationen bereitstellen. Die räumliche und zeitliche Gestaltung des Zusammenlebens erfordert dabei besondere Aufmerksamkeit.
In der offenen Kinder- und Jugendarbeit ergeben sich spezifische Herausforderungen durch die Freiwilligkeit der Angebote und die oft wechselnde Besucherschaft. Schutzkonzepte müssen hier besonders niedrigschwellig und flexibel gestaltet sein, ohne dabei an Verbindlichkeit zu verlieren. Die Einbindung der jugendlichen Nutzerinnen und Nutzer in die Entwicklung und Überprüfung der Schutzkonzepte hat sich als wichtiger Erfolgsfaktor erwiesen.
Ambulante Hilfen zur Erziehung stehen vor der Aufgabe, Schutzkonzepte für Settings zu entwickeln, die sich überwiegend im privaten Umfeld der Familien abspielen. Hier müssen besondere Regelungen für Hausbesuche und Einzelkontakte getroffen werden. Die Zusammenarbeit mit den Eltern und die Berücksichtigung familiärer Dynamiken spielen dabei eine zentrale Rolle.
Qualitätssicherung und Organisationsentwicklung #
Die Implementation von Gewaltschutzkonzepten ist eng mit der allgemeinen Qualitätsentwicklung der Einrichtung verbunden. Eine systematische Qualitätssicherung umfasst dabei verschiedene Ebenen:
Die Strukturqualität bezieht sich auf die grundlegenden Rahmenbedingungen wie Personalausstattung, räumliche Gestaltung und organisatorische Abläufe. In der Praxis hat sich gezeigt, dass insbesondere die Personalplanung einen kritischen Erfolgsfaktor darstellt. Ausreichende Vertretungsregelungen und klare Zuständigkeiten sind dabei ebenso wichtig wie die fachliche Qualifikation der Mitarbeitenden.
Die Prozessqualität fokussiert auf die konkrete Umsetzung der vereinbarten Standards im pädagogischen Alltag. Regelmäßige Teambesprechungen, Supervision und kollegiale Beratung haben sich als wichtige Instrumente zur Reflexion und Weiterentwicklung der Handlungspraxis bewährt. Die systematische Dokumentation von Vorkommnissen und deren Auswertung ermöglicht es, Schwachstellen zu identifizieren und das Konzept entsprechend anzupassen.
Die Ergebnisqualität wird durch regelmäßige Evaluationen überprüft, wobei sowohl die Perspektive der Fachkräfte als auch die der Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien einbezogen wird. Besonders bewährt haben sich dabei partizipative Evaluationsmethoden, die nicht nur die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen überprüfen, sondern auch Hinweise auf notwendige Anpassungen liefern.
Fachliche Standards und Professionalisierung #
Die Entwicklung von Gewaltschutzkonzepten hat in den letzten Jahren zur Herausbildung spezifischer fachlicher Standards geführt. Diese umfassen:
- Die systematische Personalentwicklung, die bereits bei der Auswahl neuer Mitarbeitender beginnt. Neben der fachlichen Qualifikation spielen dabei auch persönliche Eigenschaften wie Reflexionsfähigkeit und kommunikative Kompetenzen eine wichtige Rolle. Ein erweitertes Führungszeugnis und die schriftliche Selbstverpflichtung auf den Verhaltenskodex sind dabei obligatorisch.
- Die kontinuierliche Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte ist ein weiterer zentraler Baustein. Dabei haben sich themenspezifische Schulungen zu Gewaltprävention, Krisenintervention und traumapädagogischen Ansätzen als besonders wichtig erwiesen. Die regelmäßige Auffrischung und Vertiefung des Wissens trägt zur Handlungssicherheit der Mitarbeitenden bei.
- Die Entwicklung einer konstruktiven Fehlerkultur stellt eine besondere Herausforderung dar. In der Praxis hat sich gezeigt, dass eine offene Kommunikation über Unsicherheiten und kritische Situationen wesentlich zur Prävention von Gewalt beiträgt. Die Etablierung regelmäßiger Reflexionsformate und eine wertschätzende Feedback-Kultur sind dabei wichtige Elemente.
Praktische Herausforderungen und Lösungsansätze #
Die Umsetzung von Gewaltschutzkonzepten in der Praxis stellt die Einrichtungen vor vielfältige Herausforderungen. Der Ressourcenmangel, insbesondere in Bezug auf Personal und Zeit, erweist sich häufig als limitierender Faktor. Erfolgreiche Einrichtungen begegnen diesem Problem durch eine realistische Zeitplanung und die Integration von Schutzaufgaben in bestehende Arbeitsabläufe. Die Bildung von Arbeitsgruppen und die Verteilung von Verantwortlichkeiten auf mehrere Schultern haben sich dabei als praktikable Lösungen erwiesen.
Die hohe Personalfluktuation in vielen Einrichtungen erschwert die nachhaltige Implementation von Schutzkonzepten. Diesem Problem kann durch systematische Einarbeitungskonzepte und eine gute Dokumentation der Abläufe und Standards begegnet werden. Die Etablierung von „Tandems“ aus erfahrenen und neuen Mitarbeitenden hat sich in der Praxis besonders bewährt.
Widerstände im Team entstehen häufig aus der Befürchtung einer zusätzlichen Arbeitsbelastung oder der Einschränkung pädagogischer Handlungsspielräume. Eine frühzeitige Einbindung der Mitarbeitenden in die Konzeptentwicklung und der kontinuierliche Dialog über praktische Umsetzungsfragen können diese Widerstände deutlich reduzieren. Die Betonung der entlastenden Funktion klarer Handlungsleitlinien hat sich dabei als hilfreich erwiesen.
Kooperation und Vernetzung #
Die praktische Erfahrung zeigt, dass erfolgreicher Gewaltschutz nur im Zusammenspiel verschiedener Akteure gelingen kann. Die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt als wichtigstem Partner erfordert dabei klare Vereinbarungen über Meldewege und Zuständigkeiten. Regelmäßige Kooperationstreffen und der fachliche Austausch über Gefährdungseinschätzungen tragen zur Qualitätsentwicklung bei.
Die Vernetzung mit spezialisierten Beratungsstellen ermöglicht den Zugriff auf spezifisches Fachwissen und externe Unterstützung in kritischen Situationen. Besonders bewährt hat sich die Zusammenarbeit mit Fachberatungsstellen gegen sexualisierte Gewalt, die sowohl bei der Konzeptentwicklung als auch in konkreten Verdachtsfällen wichtige Expertise einbringen können.
Die Kooperation mit anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe bietet die Möglichkeit zum kollegialen Austausch und zur gemeinsamen Entwicklung von Standards. Arbeitskreise auf kommunaler Ebene haben sich als wichtige Plattformen für die Weiterentwicklung von Schutzkonzepten etabliert.
Evaluation und Weiterentwicklung #
Die regelmäßige Evaluation von Gewaltschutzkonzepten ist für ihre nachhaltige Wirksamkeit unverzichtbar. In der Praxis haben sich verschiedene Evaluationsinstrumente bewährt:
- Standardisierte Befragungen von Kindern, Jugendlichen und Mitarbeitenden liefern wichtige Hinweise auf die Akzeptanz und Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen. Die Auswertung von Beschwerden und kritischen Vorkommnissen ermöglicht die Identifikation von Schwachstellen und notwendigen Anpassungsbedarfen.
- Externe Evaluationen durch unabhängige Fachkräfte bieten die Chance einer objektiven Außenperspektive. Sie können blinde Flecken aufdecken und neue Impulse für die Weiterentwicklung geben. Die Kombination aus interner und externer Evaluation hat sich dabei als besonders effektiv erwiesen.
- Die systematische Dokumentation von Evaluationsergebnissen und daraus abgeleiteten Maßnahmen ist für die kontinuierliche Qualitätsentwicklung von großer Bedeutung. Die Einbindung der Evaluationsergebnisse in die Organisationsentwicklung ermöglicht eine stetige Verbesserung der Schutzkonzepte.
Perspektiven und Entwicklungstrends #
Die Praxis des Gewaltschutzes in der Kinder- und Jugendhilfe entwickelt sich kontinuierlich weiter. Aktuelle Trends und Herausforderungen umfassen dabei insbesondere die Integration digitaler Medien in Schutzkonzepte. Die zunehmende Bedeutung sozialer Medien und digitaler Kommunikation erfordert neue Strategien zum Schutz vor digitaler Gewalt und Cybermobbing.
Die wachsende kulturelle Vielfalt in den Einrichtungen stellt neue Anforderungen an die kultursensible Gestaltung von Schutzkonzepten. Die Berücksichtigung unterschiedlicher kultureller Perspektiven auf Nähe und Distanz, Körperlichkeit und Gewalt wird dabei zu einer zentralen Aufgabe.
Die Professionalisierung im Bereich des Gewaltschutzes führt zur Entwicklung spezialisierter Studiengänge und Fortbildungsangebote. Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation von Schutzkonzepten gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung für die Weiterentwicklung fachlicher Standards.
Die praktische Umsetzung von Gewaltschutzkonzepten bleibt eine dauerhafte Herausforderung, die kontinuierliche Aufmerksamkeit und Weiterentwicklung erfordert. Der Erfolg hängt dabei wesentlich von der Verankerung des Gewaltschutzes in der Organisationskultur und dem engagierten Zusammenwirken aller Beteiligten ab.
Fazit #
Die Entwicklung und Implementation von Gewaltschutzkonzepten stellt eine zentrale Aufgabe der modernen Kinder- und Jugendhilfe dar. Der Erfolg dieser Konzepte hängt wesentlich von ihrer theoretischen Fundierung und methodischen Durchdringung ab. Besonders wichtig ist dabei die Anpassung an die spezifischen Bedingungen der jeweiligen Einrichtung. Die Verbindung von klaren Strukturen und Handlungsleitlinien mit einer gewaltfreien und partizipativen Organisationskultur bildet die Basis für einen wirksamen Gewaltschutz.
Die praktischen Erfahrungen zeigen, dass erfolgreiche Gewaltschutzkonzepte einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess erfordern. Dieser muss von allen Beteiligten getragen und aktiv gestaltet werden. Die regelmäßige Evaluation und Weiterentwicklung der Konzepte stellt sicher, dass sie den sich verändernden Anforderungen gerecht werden. Letztlich tragen gut implementierte Gewaltschutzkonzepte nicht nur zum Schutz der anvertrauten Kinder und Jugendlichen bei, sondern fördern auch die Professionalisierung der gesamten Einrichtung.
Übungen #
Fallbasierte Risikoanalyse
Sie sind als Fachkraft in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung tätig. Die Einrichtung befindet sich in einem dreistöckigen Altbau mit weitläufigem Garten. Im Erdgeschoss befinden sich Gemeinschaftsräume und Büros, in den oberen Stockwerken die Zimmer der Jugendlichen. Es gibt pro Etage ein Gemeinschaftsbad. Der Keller wird als Lagerraum und für die Waschküche genutzt. In der Einrichtung leben 12 Jugendliche im Alter von 14-17 Jahren.
Führen Sie basierend auf den im Text beschriebenen Dimensionen der Risikoanalyse (räumlich, strukturell, prozessual) eine systematische Analyse durch:
- Identifizieren Sie potenzielle Risikobereiche
- Entwickeln Sie konkrete Schutzmaßnahmen für die erkannten Risiken
- Berücksichtigen Sie dabei besonders die Balance zwischen notwendiger Privatheit und Schutz
Konzeptentwicklung: Beschwerdeverfahren
Entwickeln Sie ein niedrigschwelliges Beschwerdeverfahren für eine offene Jugendeinrichtung, die hauptsächlich von Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren besucht wird. Berücksichtigen Sie dabei die besonderen Herausforderungen der offenen Jugendarbeit, wie sie im Text beschrieben werden.
Ihr Konzept sollte folgende Aspekte umfassen:
- Mindestens drei verschiedene Zugangswege für Beschwerden (begründen Sie Ihre Auswahl)
- Einen konkreten Ablaufplan für die Beschwerdebearbeitung
- Vorschläge zur Qualitätssicherung des Beschwerdeverfahrens
- Überlegungen, wie Sie die Jugendlichen in die Entwicklung und Umsetzung des Verfahrens einbeziehen
Reflektieren Sie dabei kritisch, welche besonderen Herausforderungen sich aus der Freiwilligkeit der Angebote und der möglicherweise wechselnden Besucherschaft ergeben.
Literatur #
Enders, U. (2012). Grenzen achten. Schutz vor sexueller Gewalt in Institutionen. Köln: Zartbitter Verlag.
Fegert, J. M., & Wolff, M. (2015). Kompendium „Sexueller Missbrauch in Institutionen“. Weinheim: Beltz Juventa.
Oppermann, C. (2018) Lehrbuch Schutzkonzepte in pädagogischen Organisationen. Weinheim: Beltz Juventa.
Weiß, W. (2023). Traumapädagogik: Grundlagen, Arbeitsfelder und Methoden für die pädagogische Praxis. 4. Aufl. Weinheim: Beltz Juventa.
Wolff, M., Schröer, W., & Fegert, J. M. (2017). Schutzkonzepte in Theorie und Praxis. Weinheim: Beltz Juventa.